Alan Ibrahimagic im RND-Interview: „Bin kein Träumer“

Verrückte Wochen hat Alan Ibrahimagic hinter sich. Der Co-Trainer der deutschen Basketball-Nationalmannschaft schlüpfte während der Europameisterschafts-Partien in diesem Sommer kurzerhand in die Chefrolle, weil Headcoach Alex Mumbru krankheitsbedingt (Bauchspeicheldrüsenentzündung) kürzertreten musste. Das Team um Kapitän Dennis Schröder triumphierte im lettischen Riga nach einem berauschenden Turnier. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) blickt Ibrahimagic, der als Trainer auch im deutschen Nachwuchs arbeitet, auf die EM zurück. Er spricht auch über die Zukunft des DBB, sein neues Standing, darüber, warum er kein Träumer ist – und den polarisierenden Dennis Schröder.
Herr Ibrahimagic, wie häufig mussten Sie nach der EM in der Innenstadt Ihrer Heimat Nürnberg Foto- oder Autogrammwünsche annehmen?
Gar nicht so viele. Häufiger, wenn ich im Sport-Kontext unterwegs war. Ich war ja auch beim 1. FC Nürnberg beim Fußball eingeladen. Auf der Straße eher selten, vielleicht ein-, zweimal.
Wie ging es nach der EM bei Ihnen beruflich weiter? Sind Sie auch wieder im Nachwuchs aktiv?
Mein Job ist es ja, so ein bisschen verbindend zwischen Jugend- und Herren-Nationalmannschaft zu arbeiten. Erst einmal gab es viele Termine nach der EM, zum Beispiel mit der Presse. Das hat sich nun etwas gelegt. Dann musste ich mich neu orientieren, weil ja auch die neue Saison begonnen hat - wer von den deutschen Spielern, Nachwuchs wie Profis, gewechselt ist. In der Jugend bekommt man ja nicht alles mit. Ich war zudem dabei beim Bundesjugendlager. Parallel dazu starten wir jetzt mit den Vorbereitungen in Richtung WM-Qualifikation mit der A-Mannschaft Ende November. Da laufen Gespräche mit dem Verband und mit Alex Mumbru. Das ist business as usual. Ansonsten schaue ich mir Ligaspiele an.
Wie geht es Alex Mumbru?
Ihm geht es besser. Die Genesungsphase ist ziemlich langwierig. Aber es geht langsam in die gewünschte Richtung. Ich hoffe, dass er Ende des Monats wieder näher dran ist. Der Plan ist, dass er Ende November bei der WM-Qualifikation fit an der Seitenlinie steht.
Ändert sich an Ihrer Co-Trainerrolle etwas nach dieser EM, wo Sie bei den Partien der Chef waren? Eine Art B-Cheftrainer?
Nein. B-Cheftrainer ist keine gute Idee. Ich werde ganz normal als Co-Trainer der A-Nationalmannschaft weiterarbeiten.
Sie haben in Mumbrus Teams mehrere Assistenztrainer. Wie genau sieht Ihre Aufgabe im Trainerteam aus?
Ich kümmere mich vorrangig um die individuelle Gegnervorbereitung, da geht es dann um die einzelnen Spieler des Gegners. Es kann aber sein, dass sich nun nach der EM etwas verändert. Aber das werden wir klären. Wichtig ist, dass wir allgemein gut zusammenarbeiten und uns vertrauen.
Wie ist es als Trainerteam, wenn bei einer EM alle Topspieler aus der NBA und Euro League dabei sind und dann in den weiteren Nationalmannschaftsfenstern viele fehlen werden, weil sie sich auf ihren Verein konzentrieren müssen oder nicht freigestellt werden?
Ich bin es gewohnt. Für mich persönlich ist es kein Problem. Ich freue mich über jeden Spieler, den ich sehe. Für die Spieler ist es nicht so einfach. Wenn du Nationalmannschaft spielst und dich für ein Turnier qualifizierst und schon weißt, dass es schwierig ist, beim Turnier dann dabei zu sein. Weil dann eben die Topspieler dazukommen.

Haben Sie nach der EM vermehrt Anfragen von Vereinen bekommen für eine Cheftrainerposition?
Da hat sich nicht besonders viel verändert. Da ging es hier und da mal darum, Kontakte zu knüpfen. Jetzt zu Beginn der Saison wäre es ja auch komisch, angefragt zu werden, weil gerade mal ein paar Spiele rum sind.
Reizt Sie die Vorstellung?
Das ist für mich immer ein Thema. Da muss aber alles zusammenpassen. Ich bin wahnsinnig zufrieden mit meinem aktuellen Job. Ich bin nicht nur Co-Trainer, sondern in der Jugend auch Cheftrainer. Es war bisher auch noch nichts dabei, wo ich sage: Jetzt breche ich mit meiner Familie hier die Zelte ab. Ich habe immer gesagt, dass ich mir wünsche, professionell zu arbeiten. Und das mache ich. Es macht unheimlich Spaß, mit jungen Menschen zu arbeiten. Wenn etwas anderes kommt, was mich total reizt, kann das ein Thema werden.
Können Sie sich ein Engagement in der NBA vorstellen?
Ich war ein paar Mal da. In der NBA hat man Bedingungen, die man sonst nicht hat. Die Spieler sind überragend. Aber ich bin kein Träumer. Ein Chefposten in der NBA ist nichts, woran ich denke. Dafür muss schon viel passieren. Da sehe ich nicht so große Chancen.
Ein Blick in Richtung des deutschen Basketballs: Wie viele Titel trauen Sie der Generation Schröder noch zu?
Ich glaube schon, dass es bei den nächsten Turnieren die Chance gibt, Titel zu gewinnen. Aber: Mit jedem weiteren Tag wird mir bewusster, wie viel zusammenlaufen muss und wie schwierig es ist, überhaupt bei einem Turnier in die Situation zu kommen, eine Medaille zu holen, geschweige denn zu gewinnen. Das ist ja mit der WM und EM nun zweimal gelungen. Das ist schon unglaublich. Da können so viele Faktoren zusammenkommen. Ob das Verletzungen sind, Schiedsrichterentscheidungen - man kann auch mal einen schlechten Tag erwischen und dann ist es aus. Bei der EM fühlte sich das Viertelfinale gegen Slowenien im dritten Viertel so an, als könnten wir es verlieren. In jedem Turnier, das die Mannschaft in dieser Zusammenstellung um Dennis spielt, wird die Mannschaft einer der Favoriten sein. Aber was dann wirklich passiert, ist auch ein bisschen Glückssache.

Sie sprechen von Glückssache. Bei der EM hatte man als Beobachter kaum mal das Gefühl, dass Ihre Mannschaft aus der Ruhe zu bringen ist und sich auf das Glück verlässt. Es herrschte extremes Vertrauen in die eigene Stärke. Wo kommt dieses Urvertrauen her und haben Sie so etwas in einer Mannschaft schon mal erlebt?
Tatsächlich hatte ich ein ähnliches Gefühl bei der U19-WM, wo wir Silber gewonnen haben in diesem Jahr. Vorher aber noch nie. Das war schon ein besonderes Level - so eine Klarheit, so ein Fokus mit Beginn der Vorbereitung. Das war schon beeindruckend. Am Ende kommt das Vertrauen durch das Gewinnen. Die Jungs sind Weltmeister und wussten, dass sie in der Lage sind, gegen jeden Gegner zu gewinnen. Einer von den Jungs - ich weiß nicht mehr, wer es war - hat mir zuletzt gesagt, dass das Vorbereitungsspiel 2023 vor der WM gegen die USA das Spiel war, wo es Klick gemacht hat. Das Spiel gegen die USA wurde zwar knapp verloren. Aber ab diesem Moment haben sich die Jungs gesagt: Wir können selbst die USA schlagen. Von diesem Zeitpunkt an ging es nochmal eine kleine Stufe höher vom Niveau.
Die EM ist rund einen Monat vorbei. Sie sind kurz vor dem Turnier in die Chefrolle gerutscht, während des Turniers dann kurzzeitig nicht mehr, dann doch wieder, weil Alex Mumbru nicht fit genug war. Wie blicken Sie persönlich mit etwas Abstand auf diese Situation?
Wenn ich so drüber nachdenke, war das der Wahnsinn. Ich glaube, es war für mich besser, dass es so spontan passiert ist - dass es einfach losging und ich mich nicht so darauf vorbereiten konnte, in die Chefrolle zu schlüpfen. Dann wirkte es erstmal so, dass es endlich ist. Erst hieß es: Vielleicht ein oder zwei Spiele, dann ging es immer weiter. Da hatte ich gar keine Zeit, viel nachzudenken. Am Ende eine verrückte Geschichte.
Dennis Schröder hat schon mehrfach erklärt, dass er spielen will, bis er 40 Jahre alt ist. Maodo Lo, Daniel Theis und Johannes Voigtmann sind wie auch Schröder über 30 Jahre alt. Kann es sein, dass einer von ihnen nicht mehr dabei ist beim nächsten großen Turnier, der WM 2027?
Erst einmal ist es ein sehr gutes Zeichen für die Nationalmannschaft, dass Dennis noch lange spielen will. Was die anderen angeht, weiß ich es nicht. Ich weiß schon, dass sie sich seit ein, zwei Jahren die Frage stellen, wie lange es noch gehen wird. Johannes hat sich während der EM verletzt. Maodo und Daniel waren während der Vorbereitung noch nicht hundertprozentig fit. Sie sind in der Vorbereitung fit gemacht worden. Sie spielen mit ihren Vereinen in der Euro League. Da kommen viele Partien zusammen pro Saison. Ob der Körper mitmachen kann, ist dann die Frage, aber auch der Geist. Durch die Erfolge fühlt man sich natürlich wohl in der Nationalmannschaft, das hat eine Art Jungbrunnen-Wirkung. Alle haben bestätigt, wie viel Spaß es macht, dabei zu sein. Es geht dann eher darum, in sich hineinzuhören und zu schauen, was der Körper sagt. Ich hoffe, dass sie uns noch eine Weile erhalten bleiben. Aber selbst wenn nicht, haben wir gute Jungs, die nachkommen.
Gutes Stichwort: Wie sehen Sie die Perspektiven im deutschen Basketball aus, auch über die nächsten drei, vier Jahre hinaus? Kaum jemand kennt den Nachwuchs so gut wie Sie.
Definitiv werden wir bei den großen Turnieren in Zukunft weiter Medaillenchancen haben. Wir hatten ein paar Erfolge mit den Jugendnationalmannschaften, waren U18-Europameister 2024 und dieses Jahr U19-Vizeweltmeister. Aber auch unabhängig von diesen Erfolgen sind viele junge deutsche Spieler bei Top-Adressen aktiv. Sie wissen schon in der Jugend, wie es ist, gegen die besten Teams und Spieler in Europa und der Welt zu bestehen. Das ist ein großer Erfahrungsvorsprung. Sie haben neben dem Talent ein gewisses Selbstvertrauen und Selbstverständnis, gut zu sein. Das wird helfen, wenn sie später A-Nationalspieler sind.
Ihr Kapitän Dennis Schröder polarisiert hier und da mit seinen Aussagen. Wie sehen Sie ihn selbst als Menschen?
Dennis ist ein Typ, der klar seine Meinung sagt, zu der steht er auch. Aber egal was ist, er stellt seine Familie in den Vordergrund. Die Familie ist für ihn die Quelle von allem: für seine Souveränität auf dem Spielfeld, seine Ruhe, seinen Glauben in die eigene Stärke. Was er in Braunschweig auf die Beine stellt, für die Gesellschaft, für die Stadt, ist beeindruckend. Man merkt auch, wenn man privat mit ihm spricht, wie wichtig ihm das ist. Das habe ich im deutschen Basketball so noch nicht erlebt, wie er sich einsetzt. Ihm ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche durch ihn und die deutsche Mannschaft motiviert werden, mit dem Sport, mit dem Basketball anzufangen.
rnd